Wir bewegen uns auf das Ende von 2022 zu, das Onlinezugangsgesetz (OZG) konnte bisher nicht flächendeckend umgesetzt werden. Generell verläuft die Digitalisierung des Verwaltungssektors weiterhin schleppend. Doch ist das nicht das einzige Problem des öffentlichen Sektors. Hinzu kommt, dass ein Fachkräftemangel heranschleicht.

Hinter diesen Problematiken steht eine steigende Unzufriedenheit der Bürger:innen in die Demokratie und sinkendes Vertrauen in ihre politischen Vertreter:innen und Institutionen.  

Das zeigt: Es besteht ernsthaft Handlungsdruck. Wir werfen in diesem Beitrag Licht auf die aktuellen Herausforderungen. Und blicken auch auf einen Lösungsansatz: Digitale Bürger:innenbeteiligung.

64 Prozent der Deutschen halten ihre Gemeinde für digital rückständig

Eigentlich sollten gemäß OZG bis zum Jahresende 2022 rund 580 Verwaltungsleistungen digital verfügbar sein. Aber die Realität sieht anders aus. Knapp 50 Verwaltungsleistungen können aktuell bundesweit von Bürgerinnen und Bürger vollständig online abgewickelt werden.

Je digitaler die Ämter und Behörden agieren, desto bürgerfreundlicher werden sie wahrgenommen.
Bernhard Rohleder, Bitkom

Das konstatierte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder kürzlich bei der Smart Country Convention (SCCON). Und wir wissen: Bürger:innenfreundlichkeit und Interaktivität fördern auch das Vertrauen in die Verwaltungen.

Dass in Sachen Vertrauensbildung dringend nachgelegt werden muss, zeigen besorgniserregende Zahlen im aktuellen E-Monitor, der jährlich die Akzeptanz der Bürger:innen in die digitale Verwaltung untersucht und Deutschland mit Österreich und der Schweiz vergleicht. Demnach vertrauen nur 38 Prozent der Deutschen ihrem Staat und dessen Leistungsfähigkeit. (Österreich: 39 %, Schweiz: 63%).

Quelle: eGovernment MONITOR 2022

Sicher lässt sich Vertrauen nicht allein dadurch schaffen, dass gängige Verwaltungsdienstleistungen, wie den Personalausweis zu beantragen oder sich umzumelden, online erledigt werden können. Aber wenn die Menschen ihre Verwaltungen als kompetent wahrnehmen und ihre Anliegen unkompliziert erledigen können, ist ein nicht zu unterschätzender Schritt in Sachen Beziehungsarbeit getan. Wirklich vertiefen lässt sich die Beziehung aber über etwas anderes: die Beteiligung der Bürger:innen. Bürger:innenbeteiligung ist ein wirksames Mittel, die wachsende Kluft zwischen den Bürger:innen und ihren Regierungen zu überbrücken und zu einem konstruktiven Dialog zu führen.

Doch Beziehungsarbeit braucht Ressourcen. Und da betreten wir Problemradius Nr. 2 – den Arbeitskräftemangel. Dieser betrifft natürlich nicht nur den öffentlichen Sektor, aber da ist er schon jetzt von den Bürger:innen zu spüren, wenn sie ihren PKW nicht anmelden können, keinen Standesamttermin bekommen oder die Ummeldung Monate dauert.  Der Deutsche Beamtenbund (dbb) geht davon aus, dass im öffentlichen Dienst aktuell 360.000 Beschäftigte fehlen, um alle gesetzlich vorgesehenen staatlichen Aufgaben zu erledigen.

Zu dieser Herausforderung gesellt sich oft die Neigung von Behörden dazu, Beteiligung per se aufzuschieben. Sie fürchten, dass dies viel Arbeit bedeutet oder sie nicht über die nötigen Mittel verfügen. Das Resultat: die Menschen bekommen zunehmend das Gefühl, ihre Meinung zähle nur am Wahltag – und dass sie sonst nicht gehört werden. Ein Garant für wachsende Unzufriedenheit.

Eine Millionen fehlende Fachkräfte

Laut einer im Juni veröffentlichten Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC werden dem öffentlichen Sektor in Deutschland bis 2030 voraussichtlich eine Million Fachkräfte fehlen. Dieser Personalknappheit bedrohe sogar Kernaufgaben des Staates:

Es geht um nicht weniger als die Frage, ob der öffent­liche Sektor seine Kernaufgaben in Zukunft noch erfüllen kann.

Volker Halsch, Senior Advisor der PwC Publikation

Wirksame Instrumente gegen den Personalmangel in Kraft setzen

Die Beratung PwC führt in ihrer Publikation zehn Handlungsempfehlungen gegen den Personalmangel auf – eine davon ist Digitalisierung (S. 17ff). Nach Einschätzung der Expert:innen müsse der Staat die Digitalisierung massiv vorantreiben, um den öffentlichen Dienst produktiver und effizienter zu machen.

Bei den Handlungsempfehlungen des Beratungsunternehmens geht es aber nicht allein um Tempo, sprich die schnellere Digitalisierung des öffentlichen Sektors. Es geht auch um eine Öffnung, z.B. dahingehend, Innovationen des GovTech-Sektors stärker zu nutzen und behördeninterne Prozesse konsequenter zu automatisieren.

Die Bevölkerung erwartet Online-Services von ihrer Verwaltung

Die Bitkom-Studie hat gezeigt, dass die Menschen deutlich mehr Tempo fordern, wenn es um digitale Dienstleistungen ihrer Städte und Kommunen geht. Sie erwarten eine digitale Verwaltung, die sich schnell ihren Angelegenheiten annimmt und diese unkompliziert bearbeitet. Bisher wird diese Erwartung nicht erfüllt, am schlechtesten in Deutschland – Österreich ist da weiter: bis 2024 werden dort fast alle Behördengänge auch digital angeboten. Digitalisierung ist aber auch eine der wesentlichen Stellschrauben, die nötig ist, damit der Staat seine Verpflichtungen gegenüber den Bürger:innen einhalten und dem Personalmangel begegnen kann.

Digitalisierung kann Vertrauen und Austausch fördern

Für eine widerstandsfähigere Demokratie muss das Vertrauen zwischen den Menschen und den politischen Vertreter:innen wieder gestärkt werden. An dieser Stelle leistet Bürger:innenbeteiligung einen signifikanten Beitrag. Partizipation kann darüber hinaus aber auch der Personalknappheit entgegenwirken. Es stimmt, Bürger:innenbeteiligung bringt erstmal mehr Arbeit. Doch auf lange Sicht macht Beteiligung die Prozesse in Behörden effizienter. Weil Projekte und Lösungen entwickelt werden, die tatsächlich von der Bevölkerung unterstützt, mitgetragen und mitgestaltet werden. Digitale Dienste, wie eine Bürger:innenbeteiligungsplattform schaffen mehr Zeit für die Aufgaben, die wichtig sind: den Austausch mit den Bürger:innen – statt die Abwicklung von Postsendungen. Digitale Beteiligungsplattformen können öffentliche Teilhabe skalieren und so deutlich mehr Menschen (als klassische Offline-Beteiligungsmaßnahmen) aktiv einbeziehen. Aber sie können auch eine digitale Kultur mit Behörden etablieren, die Spaß macht, die funktioniert und unkompliziert ist. Bürger:innen einbinden und mitentscheiden lassen – das sind wichtige Zutaten für eine funktionierende Demokratie.

Digital und menschlich

Für die großen Herausforderungen, mit denen der öffentliche Sektor konfrontiert ist, braucht es vielfältige Lösungen – das zeigt die Publikation von PwC, und das verdeutlichen auch die Zahlen des E-Monitors und der Bitkom-Recherche. Aber das (Zwischen)-Menschliche wird bei Digitalisierung zumeist unterbetont. Gängige Vokabeln lauten stattdessen Produktivität oder Effizienz. Vielen Mitarbeitenden im öffentlichen Sektor machen diese Worte Angst –  im Sinne von: „werde ich ersetzt?“. Digitalisierung könnte deswegen auch als Gelegenheit verstanden werden, zum Wesenskern des „Öffentlich Bediensteten“ zurückzukehren, bei dessen Arbeit es um die Menschen und um das Gemeinwohl geht. Worte wie Vertrauen und Dialog sollten beim Thema Digitalisierung also ebenfalls unbedingt vorkommen. Partizipation bringt die Menschen und politischen Vertreter:innen zusammen. Mit informierten und interessierten Bürger:innen, die ein gutes Verhältnis zu ihren kommunalen und digitalen Vertretungen haben, ist viel gewonnen.

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