Das ist der Status Quo mit dem viele Kommunalverwaltungen konfrontiert sind. Es braucht einen schnellen Stimmungswechsel und Angebote zur Beteiligung, die eben nicht schwerfällig, sondern unkompliziert und inklusiv sind. Und wie immer, wenn es Vertrauensprobleme gibt, liegt ein konstruktiver Lösungsansatz im Dialog, im Miteinander-Sprechen. Das ist die nötige Vorstufe, um Bürgerinnen und Bürger wieder für die Politik zu gewinnen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie sehr wohl etwas bewegen und beeinflussen können.
Schwenk nach Südhessen. Im 30.000 Menschen zählenden Taunusstein ist Julia Lupp nicht nur Pressesprecherin der Stadt, sondern auch deren Beauftragte für Social-Media. Sie ist Kommunikationsexpertin, auch und gerade mit Blick auf Kommunalverwaltungen, dazu hat sie sogar einen Podcast ins Leben gerufen – “Kleinstadtniveau – Social Media für Verwaltungen”. Für sie ist selbstverständlich, dass zu einer modernen Behörde aktive und bürger:innennahe Öffentlichkeitsarbeit gehört.
Taunusstein ist Modellkommune „Digitale Stadt“ im Bundesland Hessen. Die Stadt startete ihre Plattform für Bürger:innendialog „Gestalte Taunusstein“ im Sommer 2021.
Wir haben Julia Lupp für eine Frage-Antwort-Runde zum Thema Social Media Kommunikation getroffen. Von ihrer Expertise und Erfahrung lässt sich viel mitnehmen.
F: Frau Lupp, welche Strategie haben Sie und Ihre Behörde in Sachen Community Building verfolgt?
A: Wir haben vor gut zwei Jahren den Hashtag #TeamTaunusstein als formulierten Anspruch und Ziel gleichermaßen gesetzt: Wir wollen, dass Stadt und Bürgerschaft sich als zwei Teile eines großen Ganzen verstehen und zusammenarbeiten. Das ist das Leitmotiv unserer Kommunikation und das verfängt auch in der Community. Die Bürger:innen greifen den Hashtag von sich aus auf. Bewerber:innen beziehen sich darauf, wenn sie erklären, warum sie bei uns arbeiten wollen.
Wir wollen, dass Stadt und Bürgerschaft sich als zwei Teile eines großen Ganzen verstehen und zusammenarbeiten. Das ist das Leitmotiv unserer Kommunikation.
Julia Lupp, Pressesprecherin der Stadt Taunusstein
F: Wie hat Taunusstein dieses Leitmotiv konkret umgesetzt?
A: Wir nutzen in Social Media zwei Kanäle aktiv: Facebook und Instagram. Damit erreichen wir den Großteil der Bürger:innen, die auf Social Media aktiv sind. Wir haben verschiedene Serienformate aufgesetzt, um den Bürger:innen Orientierung und verlässliche, kontinuierliche Informationen zu geben und im Gespräch zu bleiben. Projekte sind beispielsweise wöchentliche Videoupdates mit dem Bürgermeister, ein zweiwöchiger Podcast, eine wöchentliche #throwback-Serie zum Stadtjubiläum. Ansonsten ist vieles tagesaktuell: Wo gibt es Baustellen, was tun wir im Bereich Energiemanagement, was gibt es Neues aus den Kitas? Dazu haben wir tägliche Stand-up-Meetings in der Pressestelle, besprechen Aufgaben, Themen und verteilen die Arbeit.
F: Wie können sich Social Media und digitale Beteiligungsplattform optimal ergänzen?
A: Social Media ist per se Beteiligung, weil wir hier im direkten, niedrigschwelligen Austausch mit den Menschen sind – ob wir fragen oder nicht. Wir bekommen direkt mit, wo es Schwierigkeiten gibt, wo Kritik, oder was gut funktioniert und können damit als Stadtverwaltung umgehen. Bei größeren Beteiligungsprojekten wie beispielsweise einer Platzgestaltung, nutzen wir Social Media sowohl, um auf das Projekt und die Beteiligungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen, als auch um über Zwischenergebnisse zu informieren. Hier nutzen wir auch gerne mal die Story-Funktion, um kurze Umfragen oder Ideensammlung auch über den Kanal (und einer anderen Zielgruppe) zu erhalten. Die Ideen geben wir dann wiederum auf der digitalen Dialogplattform ein, damit sie weiterdiskutiert oder genutzt werden können.
F: Aktuell stehen Behörden auf Bundes- sowie Landesebene vor der Herausforderung, dass nicht DSGVO-konforme Social-Media-Kanäle durch die Datenschutzbehörde untersucht werden und Behörden aufgefordert werden, den Betrieb der Kanäle einzustellen bzw. Alternativen zu Facebook & Co. zu schaffen. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie für Ihre Kommunikationsarbeit?
A: Es gibt zum Beispiel für Youtube DSGVO-konforme Alternativen. Allerdings sind diese alternativen Plattformen schlicht in der breiten Bevölkerung nicht bekannt. Das bedeutet, wir würden darüber wieder nur eine sehr spezielle Zielgruppe erreichen, was wenig sinnvoll ist für eine Stadtverwaltung. Wir sind in unserer Kommunikation sehr breit aufgestellt und haben ganz unterschiedliche Print- und Online-Kanäle, von denen wir viele auch weiterhin nutzen können. Bei allem anderen warten wir zunächst, wie sich die Bundes- und Landesbehörden zu den Vorgaben der Datenschutzbehörden verhalten.
F: Diese aktuelle Herausforderung mal beiseite: Welche anfänglichen anderen Hürden musste Ihre Behörde überwinden und welche Kräfte waren nötig, um breit aufgestellt zu sein?
A: Die größte Hürde ist sicher immer die Ressourcenfrage. Gute Kommunikation kostet Zeit und damit Geld, weil es nicht nebenbei funktioniert. Hier hilft es, wenn Behördenleitung und Politik wissen und verstehen, warum Kommunikation wichtig für die Demokratie und die Entwicklung einer Stadt ist.
F: Welche Empfehlungen können Sie anderen Verwaltungen geben, Social Media zur Stärkung der Beteiligung zu nutzen?
A: Social Media bietet die Möglichkeit, ganz einfach zu beteiligen. Wir haben beispielsweise mal nach einem Namen für ein Mobilitätsprojekt gesucht. Statt eines mehrstufigen Auswahlverfahrens, haben wir auf Facebook und Instagram ganz einfach gefragt: Was wäre denn eure Idee? Es gab nichts zu gewinnen, keine Abstimmung, sondern nur diese Frage. Es kamen ganz viele Antworten – auch innerhalb der Verwaltung. Wie bei einem echten Brainstorming eben. Und am Ende hatten wir ganz viele Ideen und haben daraus einen Namen ausgewählt.
F: Wenn es um Bürger:innenbeteiligung & Kommunikation geht, gibt es Unterschiede zwischen Klein- und Großstadt?
A: Das kann ich schwer beurteilen, da ich das noch nicht für eine Großstadt verantwortet habe. Aus meiner Erfahrung vorher in der Beratung auch großer und internationaler Unternehmen kann ich sagen: Kommunikation ist immer Kommunikation – es geht immer um Menschen und die Vermittlung von Themen, Inhalten und Botschaften. Egal ob B2B, interne Kommunikation oder Öffentlichkeitsarbeit in der Kleinstadt – die Prinzipien bleiben gleich. Lediglich Instrumente, Kanäle und Sprache sind unterschiedlich. In Gesprächen mit Kolleg:innen aus großen Städten oder größeren Behörden zeigt sich auch, dass die Herausforderungen und Fragen in den Pressestellen sich sehr ähneln.
F: Wie viele Menschen sind in Ihrer Verwaltung für das Thema Kommunikation im Einsatz?
A: Wir sind zwei Vollzeit-Mitarbeitende in der Pressestelle, wobei hier noch mehrere Aufgaben wie auch Repräsentationen und Ehrungen, die Administration der Website oder die Verantwortung für Bürgerbeteiligung usw. liegen. Zusätzlich haben wir eine Studentin, die uns zeitweise unterstützt.
F: Wie aufwändig ist die Moderation auf den Kanälen?
A: Das hängt sehr vom Thema ab. Corona, Wassernotstand oder Baumaßnahmen erfordern teilweise tagesfüllendes Communitymanagement. An anderen Tagen können wir uns auch mehr auf die Produktion des Contents konzentrieren.
F: Welche Erfahrungen haben Sie mit Hatespeech gemacht? Welche Lösungen gegen Hatespeech gibt es?
A: Es gibt hier beispielsweise eine Meldestelle des hessischen Innenministeriums, um Hatespeech zu direkt zu melden. Das ist natürlich keine Lösung, aber wichtig, damit Hass und Hetze im Netz nicht akzeptiert, sondern entsprechend geahndet werden. Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, ein aktives, klares Communitymanagement zu betreiben, denn dann springt auch die Community mit ein und lässt Trollen wenig Raum. Wie im echten Leben ist es an jedem von uns Haltung zu zeigen.
F: Abschließend, was raten Sie anderen Kommunalverwaltungen in Sachen Bürger:inneneinbindung und Dialog? Was sind die Schlüsselkriterien, damit Bürgerinnen und Bürger ihren Verwaltungen vertrauen und Lust haben, sich kommunal einzubringen?
A: Wenn eine Stadtverwaltung ihre Bürger:innen ernst nimmt und das auch immer wieder mit Taten unter Beweis stellt, ist eigentlich schon viel gewonnen:
Dialog vielfältig und niedrigschwellig anbieten, Fragen oder Kritik ernst nehmen, Interesse zeigen und auch bei schwierigen Themen transparent und im Gespräch bleiben.
Danke für das Gespräch!
Social Media als Vorstufe zur digitalen Bürgerbeteiligung – Zusammenfassung
Laut einer Studie des vhw sind mittlerweile fast 90 Prozent der öffentlichen Verwaltungen in Deutschland auf Social Media aktiv, insbesondere auf Facebook (79,5 %), Instagram (68,8 %), YouTube (62,5 %) und
Twitter (54,5 %) – Stand Dezember 2021. Dabei umfasst das thematische Spektrum Informationen zu Kultur, Veranstaltungen und Tourismus, zu aktuellen Geschehnissen, insbesondere zur Coronapandemie. Auch Alltägliches und lustige Inhalte finden hier ihren Platz, ebenso Risiko- und Krisenkommunikation.
Damit übernimmt Social Media laut Partizipationsleiter die wichtige Einstiegsfunktion des Informierens. Social Media Inhalte versorgen die Bürger:innen kontinuierlich mit kommunalen Updates. So haben die Menschen das Gefühl zu wissen, was in ihrer Stadt Sache ist und welche Themen gerade Priorität haben. ABER: Social Media ist noch keine Beteiligung. Die Kommunikation auf Social Media kann jedoch eine Informationsgrundlage schaffen, um anschließend vertiefend in Beteiligungsprojekte einzuladen, indem z.B. die Social-Media-Nutzer:innen aktiv auf die Beteiligungsplattform geleitet werden, wo sie dann gemeinschaftsrelevante Entscheidungen mit treffen können. Mit aktiver Beteiligung schaffen Kommunen wieder Vertrauen und Zuversicht in die politische Teilhabe. Bürger:innenbeteiligung stärkt die Demokratie! Social Media zu nutzen, kann eine ideale Vorstufe und unterstützend für die Bürger:innenbeteiligung sein. Lesen Sie dazu auch unseren Artikel: 4 Gründe, warum soziale Medien für Bürgerbeteiligung allein nicht reichen.
Erfahren Sie mehr über Bürger:innenbeteiligung und unsere digitale Plattform:
- Blog: Wie können Städte mit Storytelling die Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger stärken?
- Blog: Wie Sie die Bürgerinnen und Bürger auf Ihre Plattform lenken
- Leitfaden: Der Beginner’s Guide für digitale Bürgerbeteiligung